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Agilität: Kein Prozess, sondern ein Mindset

13.5.2018 | 7 Minuten Lesezeit

Fragt man jemanden, was denn agile Produktentwicklung ist, bekommt man höchstwahrscheinlich eine Beschreibung von Scrum oder einem anderen agilen Framework. Diese jedoch sind lediglich die gut sichtbare und mittlerweile gut etablierte Spitze des Eisbergs, den Agilität darstellt. In diesem Artikel lade ich dazu ein, sich tief in die eisigen Wasser zu begeben, um einen gründlichen Blick auf eine der Grundlagen des Eisbergs zu werfen: das agile Mindset.

Das agile Mindset versteht man am Besten im Kontrast zu seinem Gegenteil, dem fixen Mindset. Linda Rising hat dies sehr schön in ihrer Präsentation „The Agile Mindset“ getan. Diese dient als Grundlage für die folgende Beschreibung der zwei Denkarten (1).

Das fixe Mindset

Wer dem fixen Mindset folgt, sieht seine Begabungen als eine statische, unveränderliche Eigenschaft. Schüler, die Probleme mit Mathematik haben und dann zu der Überzeugung gelangen: „Oh, ich bin einfach nicht für Mathematik gemacht, ich kann das einfach nicht“, sind hierfür ein gutes Beispiel.

Vom fixen Mindset aus betrachtet sieht man sich selbst nicht in der Lage, seine Fähigkeiten auszubauen. Stattdessen zieht man seinen Selbstwert aus den vermeintlich angeborenen Begabungen. Daraus resultiert das Ziel, die Ergebnisse, die man mit diesen Begabungen erreicht, im besten Licht erscheinen zu lassen. Scheitern wird gescheut, weil es unmittelbar das Selbstwertgefühl angreift. Herausforderungen werden vermieden und wenn sie nicht vermieden werden können, folgt schnell der Rückzug in die Hilflosigkeit („Hilfe, ich kann das nicht.“). Anstrengung und Bemühen um Erfolg werden als Zeichen von Talentlosigkeit interpretiert. Man sieht sich als talentiert für bestimmte Aufgaben und untalentiert für alles Weitere, was größeren Aufwand erfordert.

Das agile Mindset

Wer dem agilen Mindset folgt, der sieht seine Begabungen als eine dynamische, veränderliche Eigenschaft. Fähigkeiten werden betrachtet wie Muskeln: Wenn man sie trainiert, dann wachsen sie. Von einem agilen Mindset aus gesprochen würden die Schüler eines schweren Mathematikkurses sagen „Oh, dieser Kurs ist aber herausfordernd! Da muss ich ganz schön Aufwand investieren, um das zu lernen!“.

Vom agilen Mindset aus betrachtet sieht man sich selbst in der Lage, neue Fähigkeiten zu entwickeln. Die aktuellen Begabungen werden lediglich als Momentaufnahme eines Satzes von Fähigkeiten gesehen, der sich ständig weiterentwickelt. Die eigene Persönlichkeit wird daher mehr über die Leidenschaften, Interessen und Charaktereigenschaften definiert als über vermeintlich fest vorgegebene Talente. Es ist völlig okay, etwas (noch) nicht zu können, weil dies keinen grundlegenden Mangel in der eigenen Persönlichkeit darstellt, sondern einfach nur den aktuellen Stand auf dem persönlichen Entwicklungsweg. Wer dem agilen Mindset folgt, bemüht sich daher stets zu lernen und die eigenen Fähigkeiten ausbauen. Scheitern wird als Lernerfahrung begriffen statt als Beweis für die eigenen Selbstzweifel und Unzulänglichkeitsgefühle. Herausforderungen werden willkommen geheißen, weil sie neue Erfahrungen und den Aufbau neuer Fähigkeiten und einer größeren Belastbarkeit ermöglichen.

Die Verbindung zwischen agiler Produktentwicklung und dem agilen Mindset

Agile Produktentwicklung basiert darauf, sich herausfordernder Probleme anzunehmen, dafür Produkte oder Dienstleistungen als Lösung zu entwickeln, Feedback zu sammeln und aus den Erfolgen und Misserfolgen dabei zu lernen. Indem man dabei mit den eigenen Stärken und Schwächen offen umgeht, die Entwicklungsprozesse und Resultate inspiziert und bei Bedarf Anpassungen an den Prozessen und entwickelten Lösungen vornimmt, begibt man sich auf einen Pfad kontinuierlicher Weiterentwicklung.

Mit einem fixen Mindset ist nicht möglich, diese Prozesse wirklich zu leben. Das liegt daran, dass ein fixes Mindset die Teammitglieder dazu bringt, Probleme und Schwachstellen eher zu verbergen als offenzulegen, vor herausfordernden Aufgaben zurückzuschrecken, und Aufwände um sich selbst, das Produkt oder das Team weiterzuentwickeln zu scheuen, weil Veränderung einerseits als Bedrohung und andererseits als Unterfangen mit nur geringer Erfolgswahrscheinlichkeit angesehen sind. Wie später noch aufgezeigt wird, werden auch die Arbeitsergebnisse des Teams durch ein fixes Mindset beeinträchtigt.

Mindsets beeinflussen

Natürlich stellt sich nun die Frage, ob das Mindset einer Person veränderbar oder unveränderbar ist. Gerade als Führungskraft oder als Coach stellt sich zudem die Frage, ob und wie man das Mindset einer Person beeinflussen kann. Dies wurde experimentell von Mueller und Dweck untersucht (2).

Mueller und Dweck haben Fünftklässler untersucht, die sie in zwei Gruppen aufgeteilt haben. Beide Gruppen begannen das Experiment damit, dass sie einen einfachen Test schrieben. Nach dem Test bekam jeder Schüler das Feedback, dass er bei dem Test sehr gut abgeschnitten habe. Die Schüler der ersten Gruppe wurden für ihre Begabung gelobt („Du musst sehr talentiert sein für diese Probleme.“). Die Schüler der zweiten Gruppe wurden für ihre Anstrengung gelobt („Du musst sehr viel Aufwand in diese Probleme investiert haben.“).

Dieser kleine Unterschied reichte aus, um die erste Gruppe von Schülern in Richtung des fixen Mindsets und die zweite Gruppe von Schülern in Richtung des agilen Mindsets auszurichten. Das zeigten die folgenden experimentellen Resultate:

  • Die Schüler wurden gefragt, ob sie als nächstes einen schwierigeren Test, bei dem sie sehr viel lernen würden, oder einen weiteren einfachen Test schreiben wollten. 90 % der agilen Gruppe wählten den schwierigeren Test. Etwa 80 % der fixen Gruppe wählten den einfacheren Test.
  • Alle Schüler bekamen schließlich einen sehr schwierigen Test. Der Großteil der agilen Gruppe arbeitete hart und hatte Spaß an der Herausforderung. Die Schüler der fixen Gruppe waren hingegen schnell entmutigt.
  • Den Schülern wurde angeboten, die Tests ihrer Mitschüler anzuschauen. Sie durften wählen, ob sie die Tests der besseren Mitschüler oder die Tests der schlechteren Mitschüler anschauen wollten. Die agile Gruppe wählte größtenteils die Tests der besseren Mitschüler zu sehen. Die der fixen Gruppe die Tests der schlechteren Mitschüler. Die agile Gruppe wollte von den Tests ihrer Mitschüler lernen. Die fixe Gruppe wollte sich gut fühlen, indem sie sich mit Mitschülern verglich, die schlechter als sie selbst waren.
  • Bei einem abschließenden einfachen Test hatte sich die agile Gruppe um 30 % verbessert, während die fixe Gruppe sich um 20 % verschlechtert hatte.
  • Zuletzt sollten die Teilnehmer noch einen Brief an die Schüler schreiben, die diese Tests zukünftig schreiben würden. Dabei teilte die agile Gruppe viele Tipps und Ermutigungen. Die fixe Gruppe gab fast gar keine Tipps. Zudem logen 40 % der fixen Gruppe bezüglich ihres Ergebnisses und stellten sich selbst besser dar als sie tatsächlich abgeschnitten hatten.

Wie dieses Experiment zeigt, können selbst kleine Interventionen in Richtung des einen oder anderen Mindsets die Denkweise einer Person deutlich beeinflussen. Wann immer man Fähigkeiten als fix und statisch darstellt, stärkt man das fixe Mindset. Wann immer man auf Anstrengungen und die Arbeit fokussiert, die zur Erreichung eines Ziels notwendig ist, stärkt man das agile Mindset.

Das agile Mindset in der eigenen Arbeit anwenden

Doch wie kann man darauf hinarbeiten, ein agiles Mindset in sich selbst, bei anderen oder in einer ganzen Organisation zu fördern? Die folgende Liste gibt hierfür Ideen:

Praktische Anwendung des agilen Mindsets für Entwickler

  • Habe den Mut, an Problemen außerhalb der eigenen Komfortzone zu arbeiten, um das eigene Handwerk zunehmend zu meistern.
  • Gehe offen mit den Dingen um, die du noch nicht weißt, so dass andere dir helfen können, dein Wachstum zu beschleunigen.
  • Richte deine Aufmerksamkeit darauf, besser zu werden, statt nur deine aktuelle Leistung gut aussehen zu lassen.
  • Respektiere die Ergebnisse der harten Arbeit jedes Einzelnen, so wie sie diese Arbeit auf ihrem aktuellen Erfahrungslevel leisten können.
  • Verpflichte dich zu einem Pfad kontinuierlichen Lernens und Wachstums, anstatt dich mit der aktuellen Situation und deinen aktuellen Fähigkeiten abzufinden.

Praktische Anwendung des agilen Mindsets für Coaches und Führungskräfte

  • Habe den Mut, dir die Bereiche einzugestehen, an denen du dich selbst noch weiterentwickeln musst, um dein Team besser führen zu können.
  • Rede offen über deine eigenen Fehler, teile sie mit dem Team und erkläre dabei, dass du selbst auch am Wachsen bist; sei ein Rollenvorbild für das agile Mindset, an das du glaubst.
  • Richte deine Aufmerksamkeit darauf, Aufwand und Bemühen zu loben statt Erfahrung, Intelligenz und Begabung.
  • Respektiere, dass es Zeit braucht, um das agile Mindset anzunehmen; erwarte nicht, dass deine Coachees es verstehen, ohne es immer wieder zu erleben; hilf ihnen dabei zu entdecken, dass Wachstum möglich ist.
  • Verpflichte dich, Fehlschläge willkommen zu heißen; lebe und lehre, dass Fehlschläge ein Weg sind, um zu lernen und sich zu verbessern.

Praktische Anwendungen des agilen Mindsets für Organisationen

  • Habe den Mut, die Angestellten neue Dinge ausprobieren zu lassen, sogar, wenn sie auf dem Weg dorthin scheitern.
  • Sei offen über die eigene Firmengeschichte; erinnere alle Angestellten daran, dass der heutige Firmenerfolg das Ergebnis der harten Arbeit und der investierten Energie aller früheren und heutigen Angestellten ist – und auch das Ergebnis der Lektionen, die durch Fehlschläge gelernt wurden.
  • Richte deine Aufmerksamkeit auf eine agile Grundhaltung statt auf vorherige Erfahrung, wenn du neue Leute einstellst.
  • Respektiere die aktuellen Fähigkeiten aller Angestellten und zeige ihnen gleichzeitig auf, was sie alles erreichen können, wenn sie mit Freude wachsen und lernen, indem du hohes Vertrauen in ihre zukünftige Entwicklung zeigst.
  • Verpflichte dich, deine Angestellten auf jedem möglichen Weg zu unterstützen, wenn sie ein Ziel erreichen wollen; sogar wenn das bedeutet, dass sie ihre aktuellen Rollen irgendwann verlassen werden.

Literatur

(1) Rising, Linda (2012). The Agile Mindset. The Agile Mindset (Slides) ; The Agile Mindset (Youtube Video)

(2) Mueller, C. M., & Dweck, C. S. (1998). Praise for intelligence can undermine children’s motivation and performance. Journal of Personality and Social Psychology, 75(1), 33-52. Study (PDF)

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