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Kann Agilität bei der ITIL Einführung helfen?

8.8.2011 | 8 Minuten Lesezeit

Viele Unternehmen stehen dem LifeCycle-Modell der ITIL Version 3 sehr positiv gegenüber. Einer Umfrage zu Folge, erwarten mehr als 75% aller befragten Unternehmen spürbare Nutzeneffekte mit ITIL bei der Ausrichtung der IT auf das Business. Wie sieht aber die Praxis aus? Man muss nicht lange suchen um herauszufinden, dass sehr viele Unternehmen mit den eingeführten ITIL-Prozessen nur wenig anfangen können. Dabei sollte doch eigentlich ausreichend Information in den fünf ITIL-Büchern stehen, um zu wissen wie es richtig geht.
Der Vorwurf: Insbesondere in der Software Entwicklung ist ITIL zu wenig mit der operativen Ebene verankert – ein zu theoretischer Umgang mit ITIL. Daher verlaufen sich die Unternehmen in sehr aufwändigen Konzeptionen für Ihre Prozesse, statt sich den praktischen Verbesserungen zu widmen. Eine Untersuchung des CIO Magazins zeigte, dass bei 70% der ITIL Einführungen der Zeitplan überschritten wurde. Hier möchte ich einen agilen Ansatz bei der Einführung von ITIL diskutieren.

ITIL (Information Technologie Infrastructure Library) ist das Vorgehensmodell wenn es um IT -Service -Management geht. Es bietet ein Werk von Best Practices für den Lebenszyklus der IT-Services von der Strategie, der Modellierung, der Implementierung und den Betrieb bis zur Optimierung.

In meiner Recherche sowie Gesprächen mit ITIL-Kollegen und meinen Praxiserfahrungen bin ich bei der Einführung und dem Umgang mit ITIL auf die folgenden Probleme gestoßen:

  1. High-Level-Betrachtungen der Prozesse lassen viele Fragen offen
    Das Ziel von ITIL ist die vielen Aktivitäten in der IT in Standard-Prozesse zu überführen. Dabei sollen möglichst alle Abteilungen in einem einheitlichen Prozess „verheiratet“ werden. Da die Aktivitäten in den verschiedenen Abteilungen oftmals sehr individuell sind, kann der allgemeingültige Prozess sich lediglich auf einer sehr abstrakten Ebene bewegen. Mit diesem High-Level-Prozess können sich die Mitarbeiter aber nicht identifizieren und sehen daher keine Lösung für Ihre Probleme. Die Vielzahl der operativen Probleme wird nicht durch die nutzenbringenden Best Practices erfasst.
  2. Für jedes Problem ein Prozess
    Die Prozesse sind dafür da, wiederkehrende Aktivitäten zu standardisieren und zu automatisieren, um das Rad nicht immer wieder neu zu erfinden. Auch eine Überprüfung und Verbesserung der Prozesse ist besser mit einer Standardisierung möglich. In der Erarbeitung dieser Prozesse fehlt aber häufig der Blick auf das Mengengerüst bezüglich der Aktivitäten. Es macht einfach keinen Sinn, für jede Problemstellung einen weiteren Prozessschritt zu definieren. Dafür ist der Aufwand zu hoch und der Nutzen zu gering.
  3. ITIL als Allheilmittel
    ITIL V3 liefert mit seinen fünf Büchern ein umfassendes Werk an Best Practices. Alle fünf Bücher zu lesen ist das Eine. Alle enthaltenen Best Practices zu verstehen und für die eigenen Unternehmenszwecke auch anwenden zu können ist das Andere. Selbst erfahrene ITIL-Berater können da nicht für jeden konkreten Anwendungsfall immer genau den richtigen Prozess aus dem Ärmel schütteln.
    ITIL sollte deshalb nicht als Vorschrift – „So musst du es machen!“ – gesehen werden, sondern als Ideengeber für die eigene individuelle Umsetzung. Zumal eine Top-Down-Einführung der Prozesse viel weniger Akzeptanz im Unternehmen findet. Kommen die Prozesse aus eigenen Ideen sind die Mitarbeiter eher geneigt auch Veränderungen vorzunehmen, wenn Anpassungen am (eigenen) selbstentwickelten Prozess notwendig werden.
  4. Unerprobter und umfangreicher Prozessumfang
    Bei der Erarbeitung und Definition der ITIL-Prozesse entsteht ein nicht unerheblicher Dokumentationsumfang. Die Prozesse werden in mehreren Arbeitsgruppen in monatelanger Arbeit erstellt. Den vollen Umfang aller Prozesse und die Hintergründe, bzw. Bedeutung all dieser Prozesse, überblickt und versteht dann nur noch ein Bruchteil aller Mitarbeiter. Unverständnis und Unklarheit führen dazu, dass die Akzeptanz in der Mitarbeiterschaft nicht hergestellt werden kann. Nach dem Rollout werden die Prozesse erstmalig nach monatelanger Planungs- und Definitionsphase erprobt. In der Regel ein viel zu langer Zeitraum, bis das Feedback der Nutzer eintrifft.
  5. Ein Tool muss her
    Es gibt inzwischen eine Reihe von Tools, die die ITIL-Prozesse unterstützen. Eine Frage die sich mir (nicht nur bei der ITIL-Einführung) immer wieder stellt, ist: Muss denn für dieses Vorhaben unbedingt zum Start auch ein Tool vorhanden sein? Ja, Tools sind nützlich, gar keine Frage. Diesen Blogeintrag habe ich ja auch nicht in HTML geschrieben, sondern ein Tool dafür benutzt. Sollen aber komplexe Prozesse toolunterstützt werden, bereitet das oftmals eine Reihe Probleme:

    – Der ausgearbeitet ITIL-Prozess richtet sich danach, was das Tool kann und nicht danach, wie es im Unternehmen definiert wurde
    – Das Tool funktioniert aus verschiedenen Gründen nicht und so lange auf eine Lösung dafür gewartet wird, herrscht Stillstand
    – Alternativen oder Workarounds sind nicht definiert, also bleiben die Themen erstmal liegen
    – Wo vorher kommuniziert wurde übernimmt das Tool die Kommunikation. Irritation und Frust sind vorprogrammiert.
    – Das Tool ist zu komplex oder hat eine schlechte Usability: Dadurch bekommt es keine Akzeptanz und es wird weiter so gearbeitet wie bisher.


Dies sind sicherlich nur einige der möglichen Probleme die bei der Einführung von umfangreichen Vorgehensmodellen bzw. Rahmenwerken auftreten können. Wie kann nun Agilität diesen Problemen entgegenwirken? Bei der Einführung von ITIL ist Prince2 die empfohlene Projektmanagementmethode und nicht z.B. Scrum. Es existiert bereits eine Menge Literatur darüber, dass sich Prince2 in Verbindung mit einem agilen Ansatz nicht ausschließen. Welche Methode letztendlich auch für die Einführung gewählt wird, ich halte es für wichtig, dass nicht die Einführung von ITIL zum Hauptziel mutiert. Stattdessen sollte auf die Themen geschaut werden, wegen derer man ITIL einführen möchte.

Mit den folgenden Punkten gehe ich auf die oben dargestellten Problemfelder ein und gebe Anregungen warum agile Prinzipien unabhängig von der gewählten Methode bei der Einführung von ITIL helfen können:

  1. Agilität fördert Transparenz der durchgeführten Aktivitäten
    Das Aufstellen von Taskboards, an denen die aktuell bearbeiteten Aufgaben/Projekte sichtbar gemacht werden ist eine agile Praxis, die sich bereits in vielen Projekten bewährt hat. Durch Taskboards wird transparent, welche Mitarbeiter bzw. Abteilungen Engpässe oder Probleme haben. Schnell lässt sich erkennen, welche Mengengerüste dahinter stehen, wer die richtigen Ansprechpartner sind und welche Abhängigkeiten es gibt. Durch ein regelmäßiges kurzes Stand-Up-Meeting am Taskboard bleiben die Informationen aktuell. In Retrospektiv-Meetings werden die Probleme und die dazugehörigen Lösungsansätze diskutiert, um kontinuierliche Prozess-Verbesserung herbeizuführen. An dieser Stelle eignen sich hervorragend die Best Practice-Ansätze von ITIL. Bevor das Rad neu erfunden wird, sollten die Best Practices als Lösungsvorschlag in die Retrospektive eingebracht werden.
    Weiterer Vorteil: Eine häufig mit viel Aufwand betriebene Bestandsaufnahme der aktuellen Prozesse vor Einführung von ITIL entfällt, da die Prozess durch das Taskboard bereits transparent gemacht wurden.
  2. Agilität widmet sich immer den wichtigsten und am meisten nutzenbringenden Themen
    Ein priorisiertes Backlog sowie Iterationspläne sind in den wichtigsten agilen Methoden wie Scrum, eXtreme Programming oder Kanban ein wichtiges Prinzip. Damit wird sichergestellt, dass immer an den Dingen gearbeitet wird die den größten Nutzen bringen, bzw. dringende Themen, die schnell berücksichtigt werden müssen. Bei der Einführung von ITIL lassen sich mit diesem Prinzip die zu entwickelnde Prozesse in eine Reihenfolge bringen und systematisch in die ITIL-dokumentierte Prozesswelt integrieren bzw. ausrollen. Es wird vermieden, dass sehr selten vorkommende Aktivitäten oder unwichtige Probleme vorab die Prozesswelt verkomplizieren.
  3. Agilität bedeutet adaptives Vorgehen durch eine Mitarbeiterkultur, die ständige Verbesserung herbeiführt
    Die Informationstechnologie ist eines der dynamischsten Berufsfelder überhaupt. Neben den zu bearbeitenden Projekten ändern sich gleichzeitig Technologien, Methoden und Praktiken. Dabei gibt es Aufgaben die sich einfach lösen lassen, aber es gibt auch sehr komplexe Projekte, die ein empirisches Vorgehen verlangen. Es kann daher keinen Standardprozess für alle komplexen Projekte geben Es sei denn, er ist generisch und damit eher Verwaltung, aber für das Projektteam wenig hilfreich in der Umsetzung. Die Erwartung, dass ITIL für alle Situationen eine Best Practice mit geeignetem Prozess bietet ist somit nicht erfüllbar. Bei der Einführung von ITIL wird viel über die aktuelle Ausgangssituation gesprochen. In diesen Gesprächen und auf der Suche nach einem optimierten Prozess sollte der Blickwinkel nicht ausschließlich auf ITIL Best Practices gerichtet sein. Teams, die komplexe Aufgaben lösen müssen, benötigen ein Rahmen in dem sie sich bewegen können, aber vor allem Freiheiten, die es ermöglichen Dinge auszuprobieren, um in kurzen Iterationen schnelles Feedback zu erhalten. Die Prozessdefinitionen für ITIL können dann aus den Erfahrungswerten, die in den Retrospektiven besprochen werden, erfolgen.
    Der Erfolg oder auch der Misserfolg der Projekte wird letztendlich ausschlaggebend dafür sein, ob Anpassungen erfolgen sollten. Wichtig dabei ist, dass die Prozesse von den Mitarbeitern gestaltet und nicht als starres Korsett betrachtet werden.
  4. Agilität bedeutet frühes Feedback mit „minimal marketable features“
    Um den in der Regel sehr umfangreichen Prozessumfang von ITIL einzuführen, bietet es sich an, den Gesamtumfang in kleine überschaubare Teile zu „schneiden“, die sogenannten „minimal marketable features“. Dabei kann der Fokus nicht nur auf einzelne Services (z.B. Design, Transition oder Operation) oder einzelne Prozesse (z.B. Change Management oder Incident Management) gelegt werden, sondern auch aus den Prozessen auf einzelne Prozessschritte. Ausgewählte Prozessschritte sollten so früh wie möglich in die aktuelle Arbeitsweise des Kunden eingebunden werden. Diese Vorgehensweise verhindert nicht nur eine Überforderung der am Prozess beteiligten Personen bei der Einführung, sondern erzeugt schon früh Nutzen von ITIL in der täglichen Arbeit und liefert wichtiges Feedback über den Erfolg der eingeführten Prozessschritte.
  5. Eine Kernaussage von Agilität ist, dass Interaktionen und Individuen als wichtiger erachtet werden als Tools
    In der Softwareentwicklung werden komplexe Problemstellungen im Team auch mit Tools bearbeitet aber eben auch mit viel Interaktion und Kommunikation zwischen den Kollegen. Das Taskboard ist auch ein Hilfsmittel, erfordert aber auch Kommunikation. Die Visualisierung macht es für alle Beteiligten einfacher zu verstehen, wie der Ablauf funktioniert, welche „Spielregeln“ es gibt und was die Kollegen benötigen, um effizient arbeiten zu können. Ich bin der Meinung, man sollte bei der Einführung von neuen Prozessen zuerst auf eine vereinfachte Visualisierung setzen und erst, wenn die Abläufe von den Beteiligten verinnerlicht wurden, schrittweise die Toolunterstützung einführen.

  6. Fazit: Die Einführung eines großen Rahmenwerks wie ITIL, mit entsprechendem Reifegrad, ist keine einfache Angelegenheit. Ein wasserfallartige Vorgehen bei der Einführung von ITIL macht so ein Vorhaben schwerfällig und damit kostenintensiv. Ich bin davon überzeugt, dass durch agile Prinzipien der Nutzen, die Akzeptanz und damit der Erfolg von ITIL optimiert werden kann.
    Wie sind eure Erfahrungswerte mit agiler Einführung von ITIL? Über Kommentare würde ich mich sehr freuen.

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